015 | Die Kreuztragung

Bezeichnung/Titel
Die Kreuztragung
Bezeichnung (Gattung)
Gemälde
Katalognummer
015
Inventarnummer (BStGS)
635
Aktueller Aufbewahrungsort
Alte Pinakothek, München
Aufbewahrung (Filialgemäldegalerie)
1906-1922
Standort in der Orangerie
Herstellung
Hersteller (Person)
Herstellungsdatum
vor 1641
Maße (Höhe/Breite/Tiefe)
196,3 x 144,7 cm
Inschrift
Tafel mit der Inschrift: „IESVS NAZARENVS REX IVDEORVM"
Literaturnachweis
Kurztitel
Seite
S. 4
Kurztitel
Seite
S. 192
Kurztitel
Seite
S. 16
Seite
Kat.-Nr. 19, S. 20
Abbildungsnachweis
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München - CC BY-SA 4.0
Eigentümer
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München
Wissenschaftliche Diskussion

Das monumentale, hochformatige Gemälde zeigt Jesus auf dem Weg seiner Kreuztragung in einer dramatischen, vielfigurigen Komposition. Jesus steht – leicht versetzt zur Mittelachse – im rechten Vordergrund des Bildes und hat sich das massive Kreuz über die linke Schulter gelegt. Er trägt die Dornenkrone, ein bodenlanges Gewand und einen weiten Umhang, der ihm von den Schultern herabgesunken ist. Rechts stehen ihm der Jünger Johannes und einige Frauen, darunter auch die Hl. Veronika mit dem Schweißtuch, auf dem sich das Antlitz Jesu verewigt hat, in stiller Anteilnahme bei. Links im Vordergrund zeigt ein Mann, der die Kreuzesnägel in den Händen hält, einem Zuschauer die für das Kreuz Christi bestimmte Tafel mit der Inschrift: „IESVS NAZARENVS REX IVDEORVM“ (Goldberg/Heine 1971, Kat.-Nr. 19, S. 20). Dahinter sorgen mit Lanzen gerüstete Soldaten dafür, die gesamte Gruppe anzutreiben. Im linken Hintergrund führt ein geschwungener, dramatisch nach oben gestaffelter Weg, der von zahlreichen Menschen gesäumt ist, zur Richtstätte Golgatha, wo bereits mehrere Kreuze stehen und weitere aufgestellt werden.

Die Darstellung stammt vom süddeutschen Künstler Georg Vischer (vor 1595-1637), der als Hofmaler Kurfürst Maximilian I. von Bayern (1573-1651) in München tätig war. Vischer ist heute insbesondere für seine qualitätvollen Dürer-Kopien bekannt, die er im großen Umfang für den Herzog anfertigte. Auch für die Erlanger Kreuztragung scheint die Kunst Albrecht Dürers vorbildlich gewesen zu sein. Nach Haack, der den Maler in der Schreibweise noch mit dem in Augsburg und Prag tätigen Johannes Fischer (ca. 1580-1643) verwechselte, hätte der Künstler mehrere Figurenlösungen von Albrecht Dürer übernommen. Hierzu zählen zum einen der Reiter des berühmten Stiches „Ritter, Tod und Teufel“, der bei Fischer in seitenverkehrter Komposition im Mittelgrund des Werkes zu finden ist. Der voranreitende Soldat wäre zudem Dürers 1508 datiertem Kupferstich „Hl. Georg zu Pferd“ (B. 54) nachempfunden (Haack 1921/22, S. 16). Weiterhin wäre die Verzierung der Schwertscheide des vorne links Knieenden nach einer Randzeichnung Dürers im Gebetbuch Kaiser Maximilians I. kopiert. Das im Gebetbuch von einem Putto gehaltene, lorbeerumkränzte Monogramm Dürers wurde von Vischer jedoch durch ein Profilbild Dürers ersetzt wie es auf dem 1519 entstandenen Buchsmodell zu einer Dürer-Medaille von Hans Schwarz zu sehen ist. Im Vergleich zur Medaille erscheint das Bildnis jedoch seitenverkehrt (Haack 1921/22, S. 16; Goldberg/Heine 1971, Kat.-Nr. 19, S. 20). Nach Goldberg und Heine orientiere sich die Gesamtkomposition des Werkes darüber hinaus an Dürers Holzschnitt „Marter der Zehntausend“ (B. 117) (Goldberg/Heine 1971, Kat.-Nr. 19, S. 20). Doch nicht nur Dürer wirkte vorbildlich für Vischers Tafelbild, sondern auch Motive der zeitgenössischen Malerei. Goldberg und Heine benennen eine Dornenkrönung Christi aus der BStGS als Kopievorlage (Inv.-Nr. 570) für den Mann mit der Pelzmütze links neben dem Querarm des Kreuzes. Die Figur des Johannes wäre dagegen aus einer Kopie des Guido Reni entlehnt (BStGS Inv.-Nr. 511 – heute als Werk des Simone Cantarini katalogisiert). Ebenfalls von Guido Reni (Kopie) stamme die Vorlage für die Darstellung der Hl. Veronika (BStGS Inv.-Nr. 4791). Weiterhin weise die Tafel Anklänge an Bilder des Quinten Massys, Marten van Heemskerck und Jan van Hemessen auf. Auch weitere Identifikationen halten die Autorinnen für möglich. Goldberg und Heine werfen zudem die Frage auf, ob Maximilian I. einige Werke seiner Kunstsammlung bewusst von Vischer kopieren, bzw. zitieren ließ (Goldberg/Heine 1971, Kat.-Nr. 19, S. 20f).

In der Erlanger Sammlung kann das Werk Georg Vischers exemplarisch für die Phase der ausgeprägten Dürer-Rezeption („Dürer-Renaissance“) stehen, die sich nach dem Tod Albrecht Dürers (1528) und insbesondere gegen das Jahrhundertende wie auch noch darüber hinaus in den verschiedenen Gattungen der Bildenden Kunst beobachten lässt (Goldberg/Heine 1971, S. 6).

Madlen Gulitsch

Kurztext

Das hochformatige Gemälde zeigt Jesus auf dem Weg seiner Kreuztragung zur Richtstätte Golgatha in einer dramatischen und vielfigurigen Komposition. Als Urheber des Werkes gilt der süddeutsche Künstler Georg Vischer (vor 1595-1637), der insbesondere für seine qualitätvollen Dürer-Kopien bekannt ist. So fertigte Vischer beispielsweise eine Kopie der bekannten „Vier Apostel“ Dürers, die der Nürnberger Rat bei Vischer bestellt hatte, um den Dürer-begeisterten Kurfürsten Maximilian I. von Bayern (vergebens) von der Überführung des Originals in dessen Münchner Sammlung abzubringen (Kopie heute im Dürer-Haus, Nürnberg). Auch für das Werk der Erlanger Galerie schöpfte Vischer aus dem umfangreichen Motivrepertoire des fränkischen Meisters. Hierzu zählen insbesondere Figuren aus bekannten Kupferstichen Dürers wie die Reiter aus „Ritter, Tod und Teufel“ oder „Hl. Georg zu Pferd“.

Madlen Gulitsch

Anmerkung

Reber 1906: „Die Kreuztragung. Vorn steht Christus mit dem Kreuze, rechts die heiligen Frauen und Johannes, links ein bärtiger Krieger, der einem jüngeren die dreisprachige Kreuztafel zeigt. Figurenreiche Darstellung.“  (S. 4)

Bulle 1906: Kein Eintrag.

Reber 1913: „Die Reminiszenz an Dürer klingt noch nach in dem Augsburger Joh. Georg Fischer ( 1580 - 1643), der als bayerischer Hofmaler viel mit Restauration in der Dürersammlung des Kurfürsten Max I. beschäftigt war und dessen Übermalungen neuerlich mit Recht beseitigt wurden. Das gute hier vorliegende, aus der kurfürstlichen Galerie in München stammende Bild einer figurenreichen Kreuztragung zeigt rechts Johannes mit den h. Frauen und links einen bärtigen Knecht, der die Hinrichtungswerkzeuge trägt und einem jüngeren Genossen die dreisprachige Inschrifttafel zeigt.“ (S. 192)

Haack 1921/22: „Nicht ganz ohne Interesse ist auch die großformatige Kreuztragung von Johann Georg Fischer, geb. 1580 zu Augsburg, gestorben als Kurbayer. Hofmaler zu München 1643. Fischer ist uns als später Dürerkopist geläufig. Er hatte seiner Zeit die Rößlein auf den Flügeln des Münchener Baumgärtner-Altars hinzugemalt, die 1902 der Entschiedenheit des Konstervators Dr. Karl Voll wieder weichen mußten, wodurch die urspüngliche Wahrheit und Schönheit von neuem hergestellt wurde. Wie Fischer nun sonst Dürersche Motive zu verwenden pflegte, so kommen solche auch in reicher Zahl auf dem Erlanger Gemälde vor. Am interessantesten ist es, wie der Reiter der aquarellierten Federzeichnung der Albertina mit der Jahreszahl ‚1498‘, bzw. des Meisterstiches von 1513: Ritter, Tod und Teufel, ins Profil nach rechts gewendet, auf unserm Bilde wieder erscheint, wenn auch aus dem Lederhelm der Vorlage ein solcher aus Stahl, aus dem gelbbraunen Lederkoller ein rotsammtener Waffenrock geworden ist. Ihm voran reitet ein anderer Ritter, von hinten gesehen, der auf den Stich des hlg. Georg von ‚1508‘ B. 54 zurückgeht. Dem großen alten Meister, dem er so die Motive entlehnt, hat der Maler unseres Bildes aber auch eine anmutige Huldigung dargebracht. Im Vordergrunde links, auf der Dolchscheide des Jünglings, der die Knie beugt und sein Barett schwingt, erscheint zwischen reichem Renaissance-Ornament in einem Lorbeerkranz, den ein Putto überm Haupt hält, welcher wie auch der Kranz aus dem Gebetbuch des Kaisers Max entlehnt ist: Dürers Profilbildnis in langem Gelock, wie auf dem bekannten Buchsmodell der Medaille von Hans Schwarz, nur in Seitenansicht nach rechts (Abb. z. B. Klassiker der Kunst. 3. Aufl. S. 386).“  (S. 16)

Archivalien: UAE A1/14 Nr. 48, handschriflicher Katalog von Franz von Reber von 1906 (Abschrift): Dep. Schleißheim; Inv. 1855: 635; [Inv.] 1905: 1604