002 | Die Enthauptung des Johannes Baptista
Das beinahe quadratische Gemälde wurde um 1480 durch den niederbayerischen Künstler Sigmund Gleismüller für ein Altarretabel der Klosterkirche in Attel im Landkreis Rosenheim geschaffen (Zuschreibung Björn Statnik 2009). Bis heute haben sich lediglich fünf Einzeltafeln des Gesamtwerkes erhalten, das von Björn Statnik als ein zweifach wandelbares Retabel mit einem verlorenen skulpturalen Mittelschrein und Flügeln mit figürlichen Darstellungen rekonstruiert wurde. Die Flügel waren in zwei Register unterteilt und zeigten Szenen aus den Viten der hll. Katharina und Johannes des Täufers (Statnik 2009, S. 19f). Die noch erhaltenen Tafeln behandeln das „Gastmahl des Herodes“, den „Disput der hl. Katharina mit Kaiser Maximinus“, den „Disput der hl. Katharina mit den heidnischen Rhetoren“, die „Enthauptung der hl. Katharina“, das „Gebet am Ölberg“ und die „Sendung des Heiligen Geistes“ (Statnik 2009, S. 15). In der Erlanger Gemäldegalerie befanden sich die Gemälde zum „Gastmahl des Herodes“ und der „Sendung des Heiligen Geistes“ (Nr. 3), die ursprünglich als Vorder- und Rückseite einer Tafel zusammengehörten. Statniks Rekonstruktionen folgend, müsste sich diese im oberen Register des rechten Außenflügels befunden haben (Statnik 2009, S. 15, 20).
Gleismüllers „Gastmahl des Herodes“ (Mk 6, 21-28) ereignet sich in einem Festsaal, der sich links über zwei Säulenarkaden zu einem angrenzenden Raum öffnet. Im Zentrum des Bildes steht eine sich nach hinten verjüngende Tafel mit einer weißen Tischdecke und gedrehten Tischbeinen, an deren Stirnseite der in kostbare Brokatgewänder gekleidete König von Galiläa, Herodes, auf einer Eckbank sitzt. Herodes trägt einen langen grauen Bart und schulterlanges graues Haar, das von einer braunen Pelzmütze bedeckt ist. Nach dem Markusevangelium soll der König Herodias, die Frau seines Bruders, geheiratet haben, worüber Johannes d. Täufer seine Missbilligung ausgesprochen hätte (Mk 6, 17-18). Im Gemälde sitzt Herodias an der Längsseite, also der damaligen Ehrenseite des Tisches, zur Rechten ihres Mannes und ist wie er in prunkvolle Gewänder aus Brokat-Stoff mit Pelzbesatz gekleidet. Eine edelsteinbesetzte Krone ruht über einem weißen Kopftuch auf ihrem Haupt. Laut der biblischen Erzählung soll sich Herodias bereits seit längerem den Tod des Johannes, der von Herodes in Gewahrsam genommen worden war, ersehnt haben. Anlässlich seines Geburtstages ließ Herodes schließlich ein Festmahl ausrichten, an welchem Salome, die Tochter der Herodias, einen Tanz aufführte. Begeistert von der Darbietung Salomes gewährte Herodes ihr einen Wunsch, woraufhin Salome – nach Rücksprache mit ihrer Mutter – das Haupt Johannes des Täufers einforderte. In der Darstellung Gleismüllers liegt der entstellte Leichnam Johannes‘ bereits am Fuße der Festtafel. Die Hinrichtung liegt nur wenige Augenblicke zurück, da drei kräftige Blutströme aus dem Hals des Toten fließen und der am linken Bildrand stehende Scharfrichter sein langes Schwert gerade erst in die Scheide führt. Das Kamelhaargewand des Heiligen wurde über seine Schultern herabgerissen; sein roter Umhang bedeckt nur noch die untere Hälfte seines Körpers. Herodes zeigt sich schockiert über die Tat und greift mit der rechten Hand betroffen an seine Brust, mit der Linken umschließt der streng zu seiner Frau blickende König verkrampft ein auf der Tischdecke liegendes Brötchen. Abweichend vom Quellentext, laut dem Salome ihrer Mutter persönlich das Haupt überreicht haben soll (Mk 6, 28), tritt bei Gleismüller ein Diener von rechts an die Tafel heran und präsentiert das abgetrennte Haupt auf einer silbernen Schale. Hierbei handelt es sich um ein ikonographisches Detail, das auf italienische Darstellungen des Themas zurückgeht (Statnik 2009, S. 34f). Salome selbst steht hinter dem Leichnam und dirigiert den Diener in Richtung ihrer Mutter. Auch sie trägt prunkvolle pelzbesetzte Kleider und eine kunstvoll gearbeitete Haube mit zartem Schleier und einer edelsteinbesetzten Agraffe (Statnik 2009, S. 34). Zum Bildpersonal zählen zudem mehrere Assistenzfiguren: Zur Linken Herodes steht der fürstliche Oberhofmeister in einer roten Schaube, der mit strenger Miene auf die Königin blickt (Statnik 2009, S. 36). In unmittelbarer Nähe des Leichnams weist ein weiterer Höfling als Rückenfigur auf das Haupt des Johannes. Zu seiner Linken stehen zwei Männer beisammen, die nach Statnik als Identifikationsfiguren des Betrachters dienen und Letzteren zu einer persönlichen Stellungnahme zum Dargestellten auffordern sollen (Statnik 2009, S. 38). Die Männer bilden damit eine jener zweifigurigen „Konversationsgruppen“, die ursprünglich auf den italienischen Künstler Giotto zurückgehen (Florenz, Santa-Croce, Peruzzi-Kapelle) und in Süddeutschland schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts rezipiert wurden (Statnik 2009, S. 38). Schließlich sind zwei weitere Höflinge im Hintergrund durch die zum Nebenraum hin geöffneten Arkaden zu erkennen. Am rechten Bildrand fällt der Blick des Betrachters auf ein prunkvolles Schaubüffet, das aus zahlreichen goldenen Prunkgefäßen besteht und vor einem roten, von der Decke herabhängenden Brokatstoff drapiert wurde. Dieses dient der Verdeutlichung des Reichtums des Fürsten (Statnik 2009, S. 37).
In seiner Dissertation arbeitete Björn Statnik überzeugend heraus, inwiefern Gleismüller einzelne kompositorischen Elemente nutzte, um die Heiligenfigur Johannes d. Täufers, dessen Schädel-Reliquien sich im Kloster Attel befunden haben, zu überhöhen und Herodias als Sünderin und treibende Kraft der Untat zu inszenieren. Dies geschieht durch einen geschickten Bruch mit der hierarchischen Ordnung innerhalb des Bildes. Obwohl Herodes als männlicher Fürst die ranghöchste Stellung des Bildpersonales einnimmt, sitzt nicht er, sondern Herodias an der Ehrenseite des Tisches.[1] Auch trägt Herodias eine kostbare Krone auf dem Haupt, während der König lediglich mit Pelzmütze gezeigt wird. Zwar wird Herodes mit der für mittelalterliche Herrscherdarstellungen typischen Frontalität gezeigt und mit einem kostbaren Ehrentuch an der Wand hinterfangen. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass nicht der König in der Mittelachse des Würdemotivs platziert wurde, sondern das Haupt Johannes d. Täufers. Die vermeintliche Überhöhung Herodias‘ wird durch ein entscheidendes Detail auf ebensolche Weise konterkariert. Auf ihrem Sitzmöbel befindet sich eine Schnitzerei der Eva nach dem Sündenfall, die auf die schändliche Sünde der Königin anspielt. Auf subtile Weise wird sie damit als Hauptschuldige der Geschehnisse inszeniert, auch wenn die Mitschuld des Königs – so gab er schließlich den Befehl der Enthauptung – durch dessen Platz auf der über Eck laufenden Bank neben der Königin unterstrichen wird (Statnik 2009, S. 35-39). Beim Urheber der Darstellung muss es sich also um einen mit den Mitteln der Herrscher-Repräsentation wohl vertrauten Künstler gehandelt haben, der sein Wissen verwendete, um auf ironische Weise mit der Herrscher-Symbolik der damaligen Zeit zu brechen (Statnik 2009, S. 39). Tatsächlich ist Sigmund Gleismüller zwischen 1474 und 1515 in Landshut insbesondere in den Rechnungsbüchern des niederbayerischen Hofes bezeugt (Statnik 2009, S. 9). Laut diesen war er als Hofmaler Georgs des Reichen tätig; ein Amt, das auch das Anfertigen von Modeentwürfen für seinen Herrn als Aufgabe einschloss. Aus dem Jahr 1486 hat sich ein solcher Entwurf erhalten, der nach einer Analyse der Rechnungsbücher dieser Zeit der Werkstatt Sigmund Gleismüllers zugeordnet werden kann. Auf Grund ausgeprägter stilistischer Ähnlichkeiten des Entwurfes mit den Atteler Tafeln, leitet Statnik deren Zuschreibung an den Landshuter Hofmaler ab (Statnik 2009,S. 177-179).
Madlen Gulitsch
[1] Statnik verweist hier auf Hans-Werner Götz: Der „rechte“ Sitz. Die Symbolik von Rang und Herrschaft im Hohen Mittelalter im Spiegel der Sitzordnung. In: Gertrud Blaschitz u.a. (Hgg.): Symbole des Alltags – Alltag der Symbole. FS Harry Kühnel. Graz 1992, S. 11-47.
Das Gemälde wurde um 1480 durch den niederbayerischen Künstler Sigmund Gleismüller (zw. 1474-1515 als Hofmaler in Landshut bezeugt) für ein Altarretabel der Klosterkirche in Attel im Landkreis Rosenheim geschaffen. Das ursprünglich zweifach wandelbare Flügelretabel ist nur noch in Fragmenten erhalten, die heute in der Staatsgalerie in Burghausen ausgestellt sind. Die Erlanger Galerie beherbergte hiervon zwei Gemälde – das hier gezeigte „Gastmahl des Herodes“ und die „Sendung des Heiligen Geistes“ (Nr. 3) – die ursprünglich als Vorder- und Rückseite einer Tafel zusammengehörten.
Das Gemälde schildert die wichtigsten Ereignisse der Johannesgeschichte, den Tanz der Salome, die Enthauptung und die Präsentation des Hauptes im Rahmen des Gastmahls am Hof des Herodes (Mk 6, 21-28). Die Enthauptung liegt nur wenige Augenblicke zurück: drei kräftige Blutströme fließen aus dem Hals des Toten und der Scharfrichter am rechten Bildrand führt sein Schwert gerade erst in die Scheide. Um Herodias als die treibende Kraft der Schandtat zu inszenieren und die Figur des Heiligen zu überhöhen, verwendete Gleismüller eine geschickte Kombination verschiedener Symbole der Herrscher-Repräsentation, die er gleichsam auf ironische Weise kommentierte. So sitzt nicht etwa Herodes, der eine Pelzmütze trägt, als ranghöchste Figur auf der Ehrenseite der Tafel, sondern seine bekrönte Gattin Herodias. Diese wird damit als hauptsächlich agierende Person hervorgehoben, jedoch zugleich durch eine Schnitzerei der Eva nach dem Sündenfall auf ihrem Sitzmöbel für ihre Schandtat gebrandmarkt. Das hinter Herodes aufgehängte Ehrentuch gilt nicht (nur) ihm, sondern auch dem Haupt des Heiligen, das exakt auf der Mittelachse des Würdemotivs dargestellt wurde. Gleismüller spielte also mit der gängigen Ikonographie, um eine außergewöhnliche Darstellung des Themas zu gestalten.
Madlen Gulitsch
Reber 1906: „Die Enthauptung des Johannes Baptista. An weissgedecktem Tische sitzt Herodes mit Herodias. Ein Diener, hinter welchem Salome, bringt auf einer Platte das Haupt des Täufers; vorn liegt der Rumpf und steckt der Henker das Schwert in die Scheide.“ (S. 1)
Bulle 1906: „Die älteste hier vertretene Kunststufe haben wir in zwei Bildern (Nr. 2, 3), die als Bayerisch um 1480 bezeichnet sind, die Enthauptung des Johannes und die Ausgießung des heiligen Geistes darstellend. Es ist eine in der Farbe harte, in den Bewegungen eckige und wenig lebenswahre Malerei, die im Vergleich etwa zu den gleichzeitigen fränkischen Meistern auf ein starkes Zurückbleiben deutet. Dennoch ist das Bild mit der Enthauptung, sobald man sich an seine harten Farben etwas gewöhnt hat, nicht ohne Reiz durch die eindringlichen, gotisch gespreizten Bewegungen und durch die altertümlich knappe und herbe Wiedergabe des Körperlichen.“ (S. 6-7)
Reber 1913: Kein Eintrag.
Haack 1921/22: Kein Eintrag.
Anmerkung: Abgesägte Vorderseite von Kat.Nr. 3.