011 | Der Marktschreier
Das kleine, hochformatige Gemälde zeigt eine Genreszene mit einem Marktschreier, der an einem Tisch mit Tischdecke steht und zwei Papiere in den Händen hält, deren Inhalt er mit ausdrucksstarker Mimik in Richtung des Betrachters kundtut. Auf dem Tisch zu seiner Rechten sitzt ein kleiner Affe, der mit seiner linken Hand eine schlanke lange Pfeife zu seinem Mund führt. Er ist mit einer eisernen Kette am Bauch gefesselt und blickt den Betrachter unvermittelt an. Vor dem Marktschreier, dessen Haupt mit einem flachen Hut mit Federschmuck bedeckt ist, steht eine kleine Person als Rückenfigur, die einen langen Wanderstock in der Rechten hält. Die Szene ereignet sich vor einem nicht näher definierten, einfarbigen Hintergrund.
Das Tafelgemälde wird dem deutschen Maler und Radierer Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712-1774), genannt Dietricy, zugeschrieben, der 1731 zum Hofmaler des sächsischen Kurfürsten und späteren (ab 1733) polnischen König August III. ernannt wurde. Dietrich zeichnete sich durch seinen eklektizistischen Malstil aus, der dem ästhetischen Empfinden des 18. Jahrhunderts entgegenkam. Er beherrschte das Repertoire aller bekannten Schulen seiner Zeit, insbesondere die niederländisch-flämische Malweise des 16. bis frühen 18. Jahrhunderts (Schniewind Michel 2012, S. 52f). Für die Erlanger Genreszene griff er auf die Manier des flämischen Künstlers David Teniers d. J. (1610-1690) zurück (Reber 1913, S. 192), der das Motiv des Affen in seinen Darstellungen häufiger verwendete (Vgl. allein Katzen- und Affenkonzert; Gesellschaft kostümierter Affen; Mahlzeit kostümierter Affen in München, Alte Pinakothek). Der Affe kann in der christlichen Kunst als positives oder negatives Symbol interpretiert werden: Er steht für Beweglichkeit und Intelligenz, kann jedoch auch Dummheit sowie Geiz, Wollust oder Eitelkeit verdeutlichen. Mit einer Kette gefesselt stellt er meist den überwundenen Satan dar (Becker 2001, S. 11f). Welche Bedeutung dem Tier in Dietrichs Darstellung zukommt, ist heute schwer festzulegen. Möglicherweise könnte auch eines der vielen niederländischen Sprichwörter verbildlicht sein.
Die Nachahmungsgabe und Vielseitigkeit Dietrichs bescherte ihm den Ruf eines international gefeierten Malers. In der jüngeren Kunstgeschichte, die im künstlerischen Eklektizismus Dietrichs keinen schöpferischen Akt erkennen wollte, wurde der Künstler dagegen lange Zeit vernachlässigt (Schniewind Michel 2012, S. 54).
Madlen Gulitsch
Das Gemälde zeigt einen Marktschreier, der vor einem Tisch mit einem angeketteten, Pfeife rauchenden Affen steht - ein Symbol für Eitelkeit, aber auch eine Parodie auf den Marktschreier, den er "nachäfft" - und den Inhalt zweier Papiere in seiner Hand lautstark kundtut. Vor diesem steht eine kleine Figur in Rückenansicht mit einem Wanderstock in der Hand. Beim Urheber des Werkes handelt es sich um den deutschen Maler und Radierer Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712-1774), genannt Dietricy, der von Kurfürst August dem Starken als Hofmaler beschäftigt wurde und mit seinem vielseitigen Oeuvre internationalen Ruhm erlangte. Gefeiert wurde Dietrich dabei insbesondere für sein Talent, den reichen Vorbildschatz älterer Kunstwerke auf individuelle, dem Zeitgeschmack gemäße Weise zu interpretieren.
Madlen Gulitsch
Reber 1906: „Der Marktschreier. Ein Quacksalber steht, ein Papier in der Hand, schreiend vor einem Tisch, auf welchem ein rauchender Affe. Rechts steht, vom Beschauer abgewandt, ein Knabe oder Zwerg.“ (S. 3)
Bulle 1906: Kein Eintrag.
Reber 1913: „Weiterhin ein Bildchen des Weimarer Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712 -1774), des durch seine Nachahmungen bekannten Dresdener Hofmalers. Es zeigt eine Marktschreier vor seinem Tische, auf welchem ein rauchender Affe sitzt, rechts ein Zwerg (Imitation der Manier des Teniers, aus der kurfürstlichen Galerie in München).“ (S. 192)
Haack 1921/22: „Auf der Höhe des Rokoko, um die Mitte des 18. Jahrhunderts aber knüpfte ein aus Weimar gebürtiger Dresdener Hofmaler Christian Wilhelm Ernst Dietrich (Dietriey) wieder unmittelbar an Rembrandt selber und an die klassischen Holländer der Blütezeit an. Ihr gesunder, Segen spendender Einfluß wird in deutschen Landen niemals ganz verfliegen. Diese ganze Entwicklung läßt sich nun bis zu einem gewissen Grade in der Erlanger Gemäldegalerie anschaulich verfolgen, wodurch diese ein besonderes Interesse erhält.“ (S.14-15)
Archivalien: UAE A1/14 Nr. 48: Depot Schleißheim; Inv. 1855: 1678; [Inv.] 1905: 1293